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Schriftgrößen richtig bestimmen
von Günter Schuler
Wie misst man die Größe einer Schrift? Einfach ein Typometer an einen Großbuchstaben halten, fertig? Besieht man sich die Sache näher, ist die Angelegenheit gar nicht so einfach. Denn einige Schiften unterscheiden sich in ihrer optischen Größe erheblich - auch wenn sie in der gleichen Punkt-Größe gesetzt wurden.
Auf den ersten Blick erscheint die Angelegenheit noch recht eindeutig: Da die Schriftgröße bzw. der Schriftgrad in festen Werten angegeben wird (Beispiel: 10 Punkt, 36 Punkt oder 72 Punkt), entspricht sie exakt dem festgelegten Wert. Umgerechnet in Milimeter, wären 10 Punkt dann 3,760 Milimeter, 36 Punkt 13,536 Milimeter und 72 Punkt 27,072 Milimeter.
Alles paletti? Ganz so einfach ist es nicht. Immerhin: Zumindest die Grundmaßeinheit Punkt ist mittlerweile einheitlich geregelt. Der sogenannte DTP-Punkt hat die traditionellen Punkt-Bemessungseinheiten Pica-Point (geringfügig kleiner) und Didot-Punkt (etwas größer) weitestgehend verdrängt. Allerdings: Geht es um das Nachmessen eines Schriftgrades mittels eines Typometers, liefert die Schriftgrößen-Skala leider nur Anhaltspunkte.
Unterschiedliche Proportionen
Haupthindernis beim nachträglichen Ermitteln von Schriftgrößen sind die unterschiedlichen Proportionen von Schriften. Optisch gesehen haben sie in manchen Fällen geradezu dramatische Größenunterschiede zur Folge. Beispiel: Im Vergleich zu einer Antiqua wie etwa der Adobe Garamond wirkt die französische Neutralgroteske Antique Olive – bei gleichem Schriftgrad – deutlich größer. Die Bernhard Modern hingegen, eine Zierantiqua aus den Zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, wirkt ziseliert, zurückgenommen und vergleichsweise klein.
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Wie ist das möglich? Die unterschiedliche optische Größenwirkung einer Schrift ist keinesfalls ein Fehler. In den allermeisten Fällen wurde sie von Schriftdesignern und Herstellern einkalkuliert – oder sogar gezielt beabsichtigt. Zum Teil hat das ganz handfeste Gründe: Zeitungsschriften etwa benötigen für gute Lesbarkeit höhere Kleinbuchstaben als beispielsweise Buchsatz-Schriften. Gestalterisches Hauptumsetzungsmittel sind dabei die Proprotionen von Klein- und Großbuchstaben. Im einzelnen handelt es sich dabei um:
- die Unterlänge (unterer Bereich von Zeichen wie z. B. dem kleinen p)
- die x-Höhe oder Mittellänge (Höhe der meisten Kleinbuchstaben)
- die Oberlänge, deren obere Begrenzung in der Regel der Höhe von Versalzeichen entspricht.
- Raum für diakritische Zeichen – beispielsweise für die Punkte auf dem "Ä".
Vor allem dem letztgenannten Punkt wird bei der Bemessung von Schriften oft (zu) wenig Aufmerksamkeit zugedacht. Aber auch ohne ihn wäre die optisch unterschiedliche Größenwirkung kaum geringer. Denn: Unterlänge, x-Höhe, die Versalhöhe sowie der zusätzliche Bereich oben für Akzente, Umlaute und Ähnliches werden von den Designern einer Schrift unterschiedlich hoch angesetzt.
Bei einigen Schriften wie z. B. der Antique Olive ist der Bereich der x-Höhe vergleichsweise hoch, bei anderen hingegen, etwa der Bernhard Modern, ist er vergleichsweise zurückgenommen und niedrig.
Welche Einheit soll man messen?
Erhebliche Auswirkungen haben diese Proportionsunterschiede auch auf die Meßbarkeit der Schriftgröße, etwa mit einem Typometer. Konkrete Frage hier: Welche Einheit soll man messen? Die Mittellänge und Oberlänge abdeckende Versalhöhe läge eigentlich nahe. Allerdings enthält auch sie nur zwei der insgesamt vier Größenzonen. Noch ungenauer ist die Mittellänge allein. Deutlich näher kommt man der realen Schriftgröße, wenn man drei der vier Zonen ausmißt: Versalhöhe (= Oberlänge plus x-Höhe) plus Unterlänge. Auch wenn sich diese Höhe nur unter Zuhilfenahme von Zeichenkombinationen ausmessen läßt (z. B. bei dem Zeichenpaar "Ty" in dem Wort "Typografie"), ist sie als Bemessungsgrundlage reell: Entsprechende Zeichenkombinationen kommen in Texten vergleichsweise häufig vor.
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Erschwerend beim Bemessen hinzu kommt ein weiterer Faktor: Zeichen mit Rundungen ragen meist etwas über die jeweilige Unter- und Oberbegrenzung hinaus. Einige Kleinbuchstaben – wie zum Beispiel das kleine "k" oder das kleine "f" – sind zudem etwas höher als Versalzeichen; bei traditionellen Antiquaschriften ist dies sogar die Regel. Das runde Zeichen geringfügig über die jeweiligen Begrenzungslinien hinausragen, hat ebenfalls optische Gründe. Setzte man etwa das kleine "e" genau auf der Schriftlinie auf, würde es optisch höherstehend wirken – was natürlich kontraproduktiv wäre und von professionellen Schriftdesignern darum tunlichst vermieden wird.
Zwei verschiedene Typometer, zwei Messergebnisse...
Wie bemisst man nun eine Schrift? Oder, konkreter gefragt: Welchen Sinn macht angesichts der beschriebenen Schwierigkeiten ein Typometer? Hundert Prozent Genauigkeit würde hier lediglich eine Vermessung aller vier Zonen bieten – also aller Zeichen inklusive den Großbuchstaben "Ä", "Ö" und "Ü". Allerdings: Zeichenkombinationen wie "Äg" oder "Üb" findet man in Texten vergleichsweise selten; in englischsprachigen Texten wäre eine Vermessung dieser Zeichenkombinationen gar nicht erst möglich. Das Cleverprinting-Typometer ist daher so aufgebaut, dass bei der Vermessung von Schriften die diakritischen Zeichen – beispielsweise für die Punkte auf dem "Ä"– nicht berücksichtigt werden müssen.
Die meisten Schriften beziehen bei der Schriftgröße die Punkte über dem großen A sowie ähnliche Zeichen in die Schrifthöhe zwar mit ein. Es gibt allerdings einige wenige bedeutsame Ausnahmen. Beispiel: die Futura. Hier ragen die Punkte von Großbuchstaben über die Schrifthöhe hinaus. Folge: Bei kompress gesetztem Text (Zeilenabstand ohne Durchschuß) ragen sie deutlich in die Unterlänge darüber stehender Zeilen hinein. Auch andere Schriften sind keinesfalls "punktgenau": Bei einigen Schriften liegen Umlautpunkte und Akzente mittig auf dem Kegel, bei anderen ragen die Rundungen leicht über die Oberhöhe hinaus, bei anderen wiederum wird der Platz oben nicht ganz ausgeschöpft. Ursachen: Möglicherweise basiert die digitale Übertragung auf Vorlagen aus der Bleisatz-Ära, in der der Didot-Punkt noch gängig war.
Auch wenn das viele Anwender bedauern mögen: Schriften sind nicht genau, sondern lediglich annäherungsweise messbar.
Die gute Frage: Wie erzielt man hierbei möglichst genaue Annäherungswerte? Die praktikabelste Bemessungsgrundlage ist, wie gesagt, die Versalhöhe plus die Unterlänge. Sie ermöglicht das Ausmessen relativ häufig vorkommender Buchstabenkombinationen wie beispielsweise "Ty", "Ag" oder "Ub".
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Um dies zu erzielen, muß auch der Punktkegel für die jeweilige Schriftgröße entsprechend reduziert werden. Der Reduktions-Prozentwert wiederum läßt sich interpolieren – indem man anhand möglichst repräsentativer Schriften einen Mittelwert findet für die Höhe des schlecht bemessbaren Akzent- "Dachgeschosses".
Bemessungseinheit beim Cleverprinting-Typometer ist ein Größen-Quadrat, welches sich aus den beiden Einheiten Versalhöhe und Unterlänge zusammensetzt. Da, wie oben beschrieben, auch hier Schwankungen auftreten, wurde aus einer Reihe von Schriftproben ein Mittelwert errechnet. Da der obere Bereich nicht mitgemessen wird, beträgt die Kegelhöhe nicht 100 Prozent, sondern lediglich 89,25 Prozent der nominellen Punktgröße. Diese Höhe entspricht einem Mittelwert, mit dessen Hilfe sich die meisten Schriften – zumindest einigermaßen genau – ausmessen lassen. Aber Achtung: Andere Hersteller von Typometern setzen unter Umständen andere Kriterien zur Vermessung der Schriftgröße voarus. Daher kann es durchaus vorkommen, dass mit zwei unterschiedlichen Typometern auch zwei unterschiedliche Messergebnisse erziehlt werden.
"Schriftgrade können nur relativ sein, da verbindliche Bemessungsgrundlagen für Schriftgrößen im Sinne der Metrologie und Typometrie nicht existieren", schreibt der Berliner Typograf Wolfgang Beinert in seinem Typolexikon.
Schriftanwender werden auch weiterhin mit den beschriebenen Umrechungsungenauigkeiten leben müssen. Eine neue DIN-Norm hierzu ist gegenwärtig zwar in Arbeit. Ob eine am Reißbrett entworfene neue Punktgröße von 0,25 Milimeter sowie das Festlegen der Versalgröße als Schriftgröße-Bemessungsgrundlage dazu beitragen wird, die gegenwärtigen Unterschiedlichkeiten aus der Welt zu schaffen, darf stark bezweifelt werden.
Über den Autor: Günter Schuler schreibt als Buchautor und Fachjournalist bereits seit Jahren zu Mediengestaltungsthemen allgemein, Typografie, Layoutanwendungen und Bildbearbeitung. Er ist Designer des Cleverprinting-Typomters, hat unser InDesign-Schulungshandbuch geschrieben und auch die kostenlose Cleverprinting Korrekturzeichen-Broschüre verfasst.
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